Schnipsel 1: Thomas Maul und der Durchschnitt
Vom Unverstand eines ehemaligen Ideologiekritikers schon beim Begriff des Durchschnitts
Es lohnt sich nicht, einen so alten Artikel wie “Das Corona-Spektakel als Farce und Tragödie” (von Thomas Maul, 22.05.2020) zu zerpflücken. Maul bemüht hier eine Reihe von Querdenkerargumenten, und wer sich damit auseinandersetzen will, möge die entsprechenden Artikel bei scienceblogs.de/ heraussuchen, die Querdenkerargumente wurden dort erschöpfend behandelt.
Doch ein Absatz verdient es, betrachtet zu werden. Man möge diesen denkwürdigen Absatz zunächst mal im Fluß lesen:
Ein Virus, das von Beginn an und überall, soweit es an Sterbegeschehen
beteiligt ist, auch nach jüngsten RKI-Daten Menschen betrifft, die im
Durchschnitt älter geworden sind als die durchschnittliche Lebenserwartung und
von mindestens einer schwerwiegenden Vorerkrankung gezeichnet waren, ist keine
Bedrohung der Bevölkerung oder Allgemeinheit, kein Killervirus. Im Abstrakten,
Statistischen fehlt ihm das Potential, eine signifikante, geschweige denn:
dramatische Übersterblichkeit zu verursachen. Im Konkreten, Individuellen sind
der ärztlichen oder gar politischen “Lebensrettung” damit auch “natürliche”
Grenzen gesetzt: kein Impfstoff, kein (All-)Heilmittel, keine Herdenimmunität,
keine Intensivtechnik, kein Kontaktverbot, keine Fixierung auf Corona
verhindert, dass jeden Tag sehr viele alte und kranke Menschen sterben.
Betrachten wir nun die einzelnen Bestandteile:
Ein Virus, das von Beginn an und überall, soweit es an Sterbegeschehen
beteiligt ist, auch nach jüngsten RKI-Daten Menschen betrifft, die im
Durchschnitt älter geworden sind als die durchschnittliche Lebenserwartung und
von mindestens einer schwerwiegenden Vorerkrankung gezeichnet waren, ist keine
Bedrohung der Bevölkerung oder Allgemeinheit, kein Killervirus.
Thomas Maul hat die Logik des Kapitals perfekt verinnerlicht: wer als alter und kranker Mensch als Arbeitskraftbehälter nicht mehr taugt, ist unwichtig, zählt nicht mehr zur Allgemeinheit, sein vorzeitiger Tod spielt keine Rolle.
Im Abstrakten, Statistischen fehlt ihm das Potential, eine signifikante,
geschweige denn: dramatische Übersterblichkeit zu verursachen.
Warum macht Thomas Maul hier nicht das Naheliegende und schaut in eine nach Altersklassen gegliederte Statistik? Wohl nur, weil der Herr Maul doch nochmal demonstrieren will, was er doch für ein genialer Denker ist - und dabei zeigt er nur, dass er selbst den Durchschnitt (Schulstoff der sechsten Klasse) nicht versteht.
“Im Abstrakten” lässt sich gar kein solcher Schluß ziehen: denn im Abstrakten gäbe es ja keine Vorerkrankungen, kein Alter - es gäbe eben nur Zahlen. Und die könnten “im Abstrakten” z.B. so liegen, dass ein Wert unter dem Durchschnitt liegt und alle anderen darüber, und ebensogut umgekehrt, und auch alle Zwischenformen sind möglich.
Weiß man aber, dass die Zahlen “gedeckelt” und in dem dadurch gegebenen Intervall einigermaßen gestreut sind, dann liegt der Durchschnitt eben deswegen da, wo er liegt, weil genügend viele Werte darüber liegen. Was auch bedeutet: die durchschnittliche Lebenserwartung hat den Wert, den sie hat, eben dadurch, dass genügend viele Menschen älter werden als diese.1 Es ist offensichtlich, dass Thomas Maul bereits das nicht versteht. Und stellt man noch in Rechung, dass in hohem Alter mehr Erkrankungen vorliegen, dann kommt man zu der genau gegenteiligen Erwartung, dass es nämlich sehr wohl ein Potential für eine deutliche Anzahl von Coronatoten und eine damit verbundene Übersterblichkeit gibt - was ja dann tatsächlich eingetreten ist.
Im Konkreten, Individuellen sind der ärztlichen oder gar politischen
“Lebensrettung” damit auch “natürliche” Grenzen gesetzt: kein Impfstoff,
kein (All-)Heilmittel, keine Herdenimmunität, keine Intensivtechnik, kein
Kontaktverbot, keine Fixierung auf Corona verhindert, dass jeden Tag sehr
viele alte und kranke Menschen sterben.
Wer sowieso bald stirbt, der muss nicht mehr behandelt werden - da dürfte den
Wirtschaftliberalen ganz warm ums Herz werden.
Weiter unten lesen wir noch dieses:
Sonderbehandlung der Schutzbefohlenen
Bei Thomas Maul kann man wohl kaum unterstellen, dass ihm die Bedeutung von “Sonderbehandlung” unbekannt ist, die Unverschämtheit ist also Absicht. Genau das Gleiche findet sich auch in dem peinlichen Artikel “Wahn und Wirklichkeit einer Mobilmachung gegen Ebola ohne Ebola” der “Gruppe Z” (inklusive des Unverstandes beim Begriff des Durchschnitts), eine Kritik an selbigem habe ich vor einiger Zeit online gestellt: Ebola und das Elend der Ideologiekritik. Übrigens verweist Maul in seinem Artikel selbst lobend auf den der “Gruppe Z”.2
Unter der Zwischenüberschrift “Die Frage nach dem Warum“ schreibt Maul gegen Ende seines Artikels:
Staatsrechtlich legal war es zweifellos nicht, wegen einer Grippewelle den Ausnahmezustand herbeigeführt …
Und dann:
Auf die Warum-Frage Agambens wird es keine befriedigende Antwort geben.
Auf die Idee, dass das Problem bei ihm selbst liegt, dass er selbst es ist, der einiges nicht bzw. falsch versteht, kommt Maul nicht. Diese Art von Reflektionsausfall ist leider inzwischen symptomatisch für erhebliche Teile des antideutsch-ideologiekritischen Lagers.
PS: Siehe auch Ebola und das Elend der Ideologiekritik
Das Umgekehrte gilt dann natürlich auch: der Durchschnitt liegt da, wo er liegt, weil genügend viele Werte darunter liegen. Hier liegt aber der Fokus auf den Werten über dem Durchschnitt.
Auch auf seiner Facebook-Seite hat Thomal Maul den “Ebola”-Artikel gelobt, schon recht bald noch dessen Erscheinen.